„Es gibt bei fast allem den Punkt, wo du nicht mehr machen kannst, was du willst.“ – Ritter Lean im Gespräch

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Der Berliner Musiker, Ritter Lean, veröffentlicht heute seine langersehnte Single „Lachs“. Das Storytelling der Single folgt einem ähnlichen Schema wie seine bereits veröffentlichten Songs und zeichnet sich durch eine unvergleichliche Lebendigkeit aus. Selbstbewusst, aber zugleich auch verletzlich, will er seinen Zuhörer:innen von seinen Erlebnissen und Gefühlen erzählen, dir wir alle schon einmal gefühlt haben. 

KALTBLUT hat sich Anfang August mit Ritter Lean getroffen, um mit ihm über Genres, warum seine Songs alle unterschiedlich sind und wieso ihm das wichtig ist.

KALTBLUT: Du veröffentlichst heute deinen nächsten Song „Lachs“. Wie würdest du den Song einteilen?

Ritter Lean: Bei dem Song wüsste ich absolut nicht, wo ich den genremäßig reinpacken würde. Ich rappe ein bisschen in den Verses, trotzdem hat der Track Melodie und es ist eine sehr schöne Indie-Gitarre drin. Es geht um Hedonismus, aber gleichzeitig will ich mit dem Song zeigen, dass es bei allem eine Grenze gibt und du nicht machen kannst, was du willst. Bis man irgendjemanden verletzt, oder irgendjemanden beleidigt, oder auf den Schlips tritt. Es gibt bei fast allem den Punkt, wo du nicht mehr machen kannst, was du willst.

Wir gehen alle saufen. Wir machen alle Party. Klar sind wir pro Klimaschutz. Viele von uns – in meiner Bubble vor allem – sind auch politisch-aktivistisch aktiv. Aber am Ende des Tages wollen wir alle eine gute Zeit haben. Diese Grenzen sehe ich viel zu wenig in Songs, wo es darum geht, dass man machen kann, was man will.

In meinen Songs ist mir ein Twist sehr wichtig. Auch wenn es ein mega schönes Lied ist, gibt es immer einen kleinen Haken. Oder wenn es traurig ist, gibt es immer ein Licht am Ende des Tunnels. So funktionieren die besten Filme, die besten Beziehungen und die besten Geschichten. 

Es gibt nicht immer nur eine Richtung, man kann nicht immer machen, was man will, es ist auch nicht immer alles schlimm, aber es ist auch nicht immer alles geil.

KALTBLUT: Wie fühlst du dich nach dem Release deiner ersten EP „Auch ein Atze muss mal weinen“?

Ritter Lean: Man könnte denken, dass man sich ein bisschen erleichtert fühlt und der Druck ein bisschen nachlässt, aber dadurch wird er nur noch größer. Am Release-Date hatte ich am gleichen Abend mein erstes Konzert in Berlin, und es war mega geil. Direkt eine Woche später ging es dann im Studio wieder weiter. Ich habe bestimmt zehn Songs rumliegen, die jetzt nur noch fertig gemacht werden müssen. Trotzdem denke ich die ganze Zeit, dass ich noch mehr Musik machen muss und außerdem noch für jede Single ein Video.

KALTBLUT: Ist der Fokus auf Musikvideos noch so groß?

Ritter Lean: Wenn ich eine Single veröffentliche, kommt immer ein Video dazu. Klar, die Musik ist das Wichtigste, aber darüber hinaus ist mir zum Beispiel ein cooles Video wichtiger als ein Cover. Das ist mein persönlicher Anspruch, denn so habe ich Musik kennengelernt, ich komme auch aus einem sehr filmischen Bereich. Nur ein Musikvideo zu machen, nur um tolle Bilder zum Song zu haben, reicht mir nicht, ich möchte schon eine Geschichte erzählen.

KALTBLUT: Hast du also die volle künstlerische Freiheit über deine Musik und Videos?

Ritter Lean: An sich kann ich machen, was ich will. Ich denke mir alles selbst aus. Ich führe selbst Regie, entscheide selbst, wie die Szene aufgelöst wird, wie ich die Kamera einstelle und so weiter. Ich sehe selten Musikvideos, die so filmisch aufgelöst sind, und versuche, dass meine Videos eher in Richtung Kurzfilm gehen.

KALTBLUT: Konzipierst du das Video-Konzept schon während der Produktionsphase?

Ritter Lean: Manchmal kommen Ideen schon währenddessen. Das sind dann kleine Gedanken oder Bilder, die ich mir dann aufschreibe. Normalerweise ist der Song fertig, dann setze ich mich mit meinem Produzenten zusammen, manchmal auch mit meiner besten Freundin, und wir brainstormen.

Ich habe alle Zeit der Welt – keinen Druck, aber trotzdem warte ich eine Woche, bevor ich anfange, damit dann richtig Druck entsteht. Und dann kommt auch etwas. Aber an dem Punkt, an dem ich jetzt bin, dass ich wirklich in fünf Tagen drehe und noch nichts habe, war ich noch nie.

KALTBLUT: Macht dir das Angst?

Ritter Lean: Angst nicht, denn irgendwie hat bis jetzt immer alles geklappt. Obwohl es keine gute Angewohnheit ist, wurde ich bis jetzt immer belohnt. Aber sagen wir so, es nervt mich schon. Ich mache mir dadurch auf jeden Fall das Leben schwerer.

KALTBLUT: Ein bisschen gehört das aber auch zum Künstlerdasein dazu, sich das Leben selbst schwer zu machen, oder?

Ritter Lean: Vollkommen. Das höre ich auch von vielen anderen Künstlern, die ich kenne. Man hat etwas geschafft, einen Song oder ein Video veröffentlicht und dann steht direkt das Nächste an. Ich muss weiterarbeiten und an meiner Vision feilen. Oft falle ich dann in ein Loch, in dem ich erst mal eine Woche lang nichts mache, bis der nächste Release ansteht.

KALTBLUT: Wie kamst du eigentlich zur Musik?

Ritter Lean: Während der Corona-Zeit war ich bei meiner Ex-Freundin in der Wohnung und der Freund ihrer Mitbewohnerin, Narou, ist ein sehr guter Produzent und Musiker. Wir saßen dann in Quarantäne, ich hatte keine Castings, niemand hat gedreht, ich hatte keine Uni mehr und wusste nicht so recht, was ich jetzt machen sollte. Die Corona-Zeit hat mir gezeigt, wie abhängig man von anderen Menschen ist. Er meinte daraufhin, dass ich vorhin in der Küche gesungen habe und ob ich Lust hätte, mal mit ihm ins Studio zu gehen? Daraufhin haben wir eine Session gemacht und den Song „Lost aufgenommen.

Dann habe ich angefangen, die Songproduktion zu lernen, weshalb es auch relativ lange gedauert hat, bis ich meinen ersten eigenen Song veröffentlicht habe. Ich hätte wahrscheinlich schon Songs veröffentlichen können, wenn ich anderen Leuten gesagt hätte, dass sie mir bei der Fertigstellung der Tracks helfen sollen, aber da war ich ein bisschen zu stolz. Ich wollte, dass alles von mir kommt. 

KALTBLUT: Singst du auch auf Englisch?

Ritter Lean: Ich habe auf Englisch angefangen zu schreiben. Dann habe ich gemerkt, dass ich auf Englisch nicht alles ausdrücken kann, was ich sagen möchte. Es vermittelt nicht zu 100 % meine Persönlichkeit und meine Gedanken. Dadurch sind die Texte nicht so authentisch wie sie auf Deutsch gewesen wären.

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KALTBLUT: Wie würdest du deine Musik Genre-mäßig einordnen?

Ritter Lean: Gar nicht. Aber das ist mir gerade egal. Ich glaube, das würden fast alle Künstler:innen gerne sagen und von sich behaupten, dass man ihre Musik nicht in eine Schublade stecken kann. Bei mir könnte man einzelne Songs in Genres einordnen. Kaum einer meiner Songs ähnelt dem davor oder danach. In dem einen singe ich, im anderen mache ich mehr Sprechgesang, im nächsten rappe ich und im übernächsten sind Indie-Gitarrenklänge zu hören.

KALTBLUT Wie ist das, wenn du die Songs live spielst? Wie reagieren die Zuschauer:innen, wenn die Songs alle so unterschiedlich sind?

Ritter Lean: Meiner Meinung nach macht das auch zum Beispiel ein gutes DJ-Set aus, wenn in einem Techno-Set plötzlich ein Disco-Track oder ein Song aus den 80ern läuft. Ich habe nicht den Anspruch, dass meine Shows von Anfang bis Ende Abriss sind, wie es bei manchen Rappern der Fall ist, bei denen es die ganze Zeit darum geht, einen Moshpit zu erzeugen.

Was meine Songs zusammenhält und sie zu Ritter Lean-Songs macht, sind die Texte. Das, was ich sage und wovon ich spreche. Ob die Produktion oder meine Stimme dann immer gleich klingt, ist für mich eine künstlerische Entscheidung. Daher glaube ich wirklich, dass man ohne zu zögern über meine Musik sagen kann, dass sie sich nicht in ein Genre zwängen lässt. Deshalb nenne ich es Indie-Pop-Rap.

Wenn ich persönliche Texte schreibe, spüren die Zuhörer:innen, dass sie gerade etwas Authentisches vom Künstler hören und nicht etwas, das für den Konsumentenmarkt geschrieben wurde. 

KALTBLUT: Deine Lyrics sind sehr persönlich. Ich frage das alle Künstler:innen, da mich die verschiedenen Antworten interessieren. Ein persönlicher Song ist für mich wie ein Einblick ins Tagebuch. Hast du nicht das Gefühl, zu viel von dir preiszugeben?

Ritter Lean: Das ist auch mein Anspruch an andere Künstler:innen. Ich kann damit mehr anfangen, wenn ich Musik höre, bei der der oder die Künstler:in und ich in diesem Moment ein Gefühl teilen. Der Künstler oder die Künstlerin saß im Studio und hat nicht auf Klischees oder einfache Elemente zurückgegriffen, die man schon 100 Mal gehört hat. Vielmehr ist es wie ein „Hey, so geht es mir, vielleicht geht es dir auch so, und wenn nicht, hör einfach mal zu.“ 

Wenn ich persönliche Texte schreibe, spüren die Zuhörer:innen, dass sie gerade etwas Authentisches vom Künstler hören und nicht etwas, das für den Konsumentenmarkt geschrieben wurde. 

Ich schreibe auf jeden Fall meine Musik eher für mich selbst, vor allem wenn es um Liebe oder Herzschmerz geht, weil ich dann meine eigenen Worte finden kann. Mein ADHS ist zu stark, als dass ich mich jeden Tag hinsetzen könnte, um Tagebuch zu schreiben. Das Songschreiben ersetzt keinesfalls eine Therapie, aber es tut mir gut, meine Gedanken aufzuschreiben. Und wenn ich den Text dann gesungen habe, sei es im Studio oder auf der Bühne, dann ist es irgendwie weg, dann ist es kein Problem mehr und ich kann es loslassen.


Streame Ritter Leans Single „Lachs“ hier und folge ihm auf Instagram, @ritterlean, um über neue Releases und Shows auf dem Laufenden zu bleiben.

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